Bauen mit Holz

Zweiter Frühling für alte Walliser Baukultur

Holzbau Viele alte Wohn- und Ökonomiegebäude in Walliser Dorfkernen stehen leer. Respektvolle Umbauten helfen, ihren Wert zu erhalten und sie mit neuem Leben zu füllen.

von Michael Meuter

Verantwortlicher Information von Lignum

Pittoreske Dörfer mit sonnenverbrannten Holzhäusern, Dächer mit Steinplatten und Schindeln – das «unverfälschte» Wallis weckt in der Schweiz wie im Ausland zuverlässig Feriensehnsüchte. Nicht weniger als 101 Ortsbilder von nationaler Bedeutung zählt der Kanton. Allerdings stehen viele der teils jahrhundertealten Wohnhäuser in den Walliser Dorfkernen leer. Sie entsprechen oft nicht mehr heutigen Ansprüchen an den Wohnkomfort. Und auch ehemalige Ställe und Scheunen verfallen, weil die Berglandwirtschaft heute auf grosse Stallbauten ausserhalb der Dörfer setzt.

Eigentlich ist das breite touristische Interesse ein Steilpass für die Neubelebung dieser Bauten. Das funktioniert auch unter dem geltenden Zweitwohnungsgesetz noch. In Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von mehr als 20 Prozent dürfen zwar keine neuen Zweitwohnungen bewilligt werden. Altrechtliche Wohnungen – Wohnungen, die am 11. März 2012 bereits bestanden – können aber grundsätzlich ohne Beschränkung als Erst- oder Zweitwohnungen genutzt werden. Sie können weiterhin frei verkauft oder vermietet werden, und zwar auch zu Zweitwohnzwecken, und sie können dafür mit einigen Einschränkungen auch erneuert, umgebaut und erweitert werden. Geht es hingegen um Gebäude, die zuvor noch keine Wohnung enthalten haben – etwa Ökonomiebauten –, so gelten jetzt strenge Voraussetzungen für eine Umnutzung.

Erneuerung mit Hindernissen

Das Wallis hat das Zweitwohnungsgesetz 2012 mit fast drei Viertel Nein-Stimmen wuchtig verworfen. Aber sieben Jahre nach seinem Inkrafttreten 2016 hat die Schockstarre einem gewissen Pragmatismus Platz gemacht. «Die Diskussion hat sich versachlicht», sagt Klaus Troger, Architekt der kantonalen Denkmalpflege Oberwallis. «Die Inventarisierung des Gebäudebestandes verbrieft die Ziele im Umgang mit den schützenswerten Objekten und bildet damit die Grundlage für eine mögliche Umnutzung. Dadurch lohnt sich der Unterhalt der Gebäude für die Eigentümer wieder».

Und doch hakt es bei der Erneuerung der alten Bausubstanz. Die Gründe hat eine Machbarkeitsstudie zur Finanzierung der Erneuerung in Schweizer Bergdörfern am Beispiel von Ernen und Münster 2014 aufgedeckt. Die Masterarbeit von Gallus Faller und Dominik Joos am Institut für Finanzdienstleistungen Zug der Hochschule Luzern zeigte: Mit den heutigen Baukosten im Goms und den daraus resultierenden Investitionen für eine Dorfkernerneuerung reichen auch optimistisch gerechnete Nutzungen nicht aus, um eine nachhaltige Finanzierung zu sichern. Das werde nur unter drei Bedingungen funktionieren, so die Autoren: wenn die Eigentümer ihre Wertvorstellungen auf tiefem Niveau ansetzten, das Baugewerbe mit innovativen Ansätzen kostengünstige Sanierungslösungen anbiete und alle Akteure im Tourismus ihr Bestes gäben, um die Auslastung zu steigern.

Das Rad nicht jedesmal neu erfinden

Das liessen sich die lokalen Handwerker, die sich im Verein «Unternehmen Goms» als Auftraggeber ebendieser Studie zusammengetan hatten, nicht zweimal sagen. Sie gründeten die Arbeitsgemeinschaft «Dorfkernerneuerung Oberwallis» und entwickelten in der Folge zusammen mit regionalen und nationalen Wirtschaftspartnern und der Berner Fachhochschule in einem dreijährigen Innosuisse-Projekt konzise Leitfäden für die Erneuerung alter Bausubstanz. Diese bringen alle wesentlichen Aspekte auf den Punkt, von der Gestaltung über Bewilligungsprozesse und Gebäudeanalyse bis hin zu Erdbebensicherheit, Brandschutz, Bauphysik und konstruktiver Ausgestaltung von Dach-, Wand- und Sockelanschlüssen.

Die Dokumente sind heute unter der Marke «vetanova» im Web auffindbar. Sie lassen sich durchaus auch auf andere Orte als das Oberwallis übertragen. Ihr Ziel: die Planungssicherheit erhöhen und die Kosten senken. Denkmalpfleger Klaus Troger rät potenziellen Bauherren im Wallis, die Unterlagen unbedingt zu konsultieren: «Vetanova schliesst mit diesen Leitfäden eine grosse Lücke.»

Geleitet hat die mittlerweile aufgelöste Arbeitsgemeinschaft die Betriebswirtin Monika Holzegger. Sie ist auch heute noch Ansprechpartnerin für die Projektergebnisse. «Das Authentische findet heute bei der jungen Generation neue Wertschätzung», zeigt sich die gebürtige Österreicherin mit langjähriger Erfahrung in der Walliser Tourismusförderung überzeugt. «Wir hoffen, dass wir es zu ihren Gunsten schaffen, die immer noch komplexen Baubewilligungsverfahren weiter zu straffen. Mit dem bisher im Rahmen von vetanova Geleisteten sind wir sicher auf dem richtigen Weg. Schnelle Erfolge sind aber dennoch nicht zu erwarten. Es braucht einen ‹langen Schnauf›, damit in den Walliser Dorfkernen die Lichter wieder angehen.»

Spektakulär unspektakulärer Umbau in Sarreyer

Wichtige Orientierungspunkte auf diesem Weg sind gute gebaute Beispiele. Sie machen anschaulich, wie viel der Respekt vor dem Gewachsenen zu den neuen Werten beiträgt, die ein gelungener Umbau entstehen lässt. Beispiele wie etwa der 2011 fertiggestellte Umbau eines alten, denkmalgeschützten Heuschobers aus den dreissiger Jahren in Sarreyer im Unterwallis. Das Zürcher Büro Bosshard Vaquer Architekten erneuerte ihn nach dem «Haus im Haus»-Prinzip und verband ihn mit einem Neubau auf den Grundmauern eines abgerissenen Schobers gleich nebenan, um ein Feriendomizil für eine private Bauherrschaft aus dem Ausland zu schaffen.

Dank grösster Sorgfalt in jedem einzelnen Detail ist ein Ensemble entstanden, das sich «spektakulär unspektakulär» in den Bestand einfügt, wie die Jury des Prix Lignum lobte, die dem Projekt 2015 in der nationalen Wertung Bronze zusprach. Im Inneren der beiden verbundenen Bauten verbergen sich vielfältig gestaltete, mit Erlenholz ausgekleidete Räume.

«Weiterarbeiten mit dem Bestand ist das Gebot der Stunde», zeigt sich Daniel Bosshard im Gespräch über das Projekt überzeugt. Ihm und seiner Büropartnerin Meritxell Vaquer i Fernàndez ist es wichtig, bei der Arbeit im Gewachsenen den Spagat zu schaffen zwischen einem unangefochten starken Kontext und der neuen Nutzung, die sich ohne konstruktives Versteckspiel einführen soll. Das ist dem Büro mit seinem umsichtigen Projekt in Sarreyer in bestechender Weise gelungen. Die seit 2016 geltenden Vorgaben des Zweitwohnungsgesetzes könnten heute allerdings die Umsetzung erschweren, wollte man genau dasselbe Projekt noch einmal realisieren.

«Es muss nicht schreien»: sanfte Verwandlung in Gluringen

Auch im Oberwallis finden sich Umbauten, die mit ihrer Sensibilität und Umsicht überzeugen. Der Luzerner Architekt Roman Hutter, selber ein gebürtiger Gommer, hat in Gluringen eine Stallscheune aus den dreissiger Jahren zur Zweitwohnung für Heimwehgommer umgebaut, die andernorts in der Deutschschweiz leben. Der 2020 fertiggestellte Umbau schmälert den Wert des Baus für das Ortsbild in keiner Weise.

Die Raumstruktur der Wohneinheit – auch hier nach dem «Haus im Haus»-Prinzip – folgt der Anlage des Bestandes; der alte Stall darunter wurde nicht angetastet. Er nimmt nur die Technikbox auf. Die Wohnung erreicht man über eine neue Aussentreppe. Beim Eintreten heisst es Kopf einziehen: Die Tür in der Aussenhülle ist so niedrig wie eh und je. Ein kleines Fenster von 40 x 40 cm für das Bad ist der einzige neue Durchbruch in der Gebäudehülle. Zur Belichtung der Räume dienen einfache Fenster hinter den bestehenden Öffnungen. Ist die Bewohnerschaft nicht da, bleiben die Holzläden davor zu.

«Es muss nicht schreien», fasst Hutter seinen Ansatz im Umgang mit alter Bausubstanz zusammen. Zurückhaltung und Respekt vor dem Bestand stehen für ihn im Vordergrund. Das bedeutet, ein Maximum mit reduzierten Eingriffen zu erreichen. Ausserdem legt Hutter Wert auf qualitätsvollen Holzbau und gute Materialien. Für die erreichte Gesamtqualität dieses Umbaus gab es beim Prix Lignum 2021 verdientermassen eine Auszeichnung mit dem dritten Rang der Region Mitte.

«Es braucht einen ‹langen Schnauf›, damit in den Walliser Dorfkernen die Lichter wieder angehen.»

Infos

Die erwähnten Planungshilfen für die Erneuerung wertvoller alter Bausubstanz finden sich im Web unter vetanova.ch. Die technische Beratung der Lignum erteilt unter Tel. 044 267 47 83 von Montag bis Donnerstag jeweils morgens von 8–12 Uhr kostenlos Auskunft zu allen Fragen rund um Holz und seine Anwendung am und im Haus. lignum.ch