Garten

Ein ganz besonderes Gartenhaus

Garten Traditionelle Bauweisen, alte Handwerkstechniken, Recherche zur Geschichte des Ortes, an dem das Gebäude steht – wenn all das in den Planungsprozess einfliesst, steckt der Japaner Tsuyoshi Tane dahinter.

von Alexandra von Ascheraden

Journalistin

Der Vitra Campus in Weil am Rhein ist ein Mekka für Architekturfreunde. Dort stehen Gebäude von Frank Gehry, Herzog & de Meuron, Zaha Hadid, Tadao Ando, Jean Prouvé. Nun ist ein ganz besonderes, vergleichsweise bescheidenes Bauwerk hinzugekommen. Ein Gartenhäuschen, dessen sichtbare Oberflächen vor allem aus Reet und Holz bestehen. «Es soll wirken, als sei es schon immer da. Es soll nicht als neues Gebäude identifiziert werden können. Man sieht ihm tatsächlich nicht an, wann es gebaut wurde oder aus welcher Region der Entwurf stammt», erzählt Architekt Tsuyoshi Tane, der es entworfen hat, bei einem Besuch vor Ort. Fertiggestellt wurde das Häuschen bereits im Sommer. Fünf Monate später hat das Schilf, das seine Oberfläche überzieht, bereits eine schöne Patina angenommen.

Die Grundanforderung des Bauherrn war, das Gebäude auf möglichst nachhaltige Weise zu errichten. Bei einem Besuch im Freilichtmuseum Ballenberg in Brienz studierte Tane erst einmal die alten Bauweisen und die traditionell verwendeten Materialien. Später machte er sich auf die Suche nach Handwerkern aus der Umgebung, die das nötige Wissen um diese Bauweisen noch mitbrachten sowie lokale Materialquellen kannten.

So stammt der Granitfels, auf dem die Treppe zur Dach-Aussichtsplattform ruht, aus einem nur 28 Kilometer entfernten Steinbruch. Das verbaute Holz legte 50 Kilometer zurück – inklusive des Wegs zur Sägerei.

Unter den lokalen Handwerkern habe sich noch erfreulich viel Wissen um alte Techniken erhalten, findet Tane. «Am schwierigsten war es, einen Seiler zu finden, der noch Methoden beherrscht, mit denen sich das netzartig geknüpfte Treppengeländer herstellen liess», berichtet er. Schliesslich gelang auch das. Der Seiler übt seinen selten gewordenen Beruf in einem von Generation zu Generation übertragenen Familienbetrieb aus.

Garten von Piet Oudolf

Entstanden ist eine Art Pavillon auf Stelzen mit nur 15 m² Grundfläche. Er bietet Platz für maximal acht Personen. Im Inneren befindet sich ein Pausenraum mit Küchenzeile für die Gärtnerinnen und Gärtner, die sich um den angrenzenden Oudolf-Garten kümmern. Eine umlaufende Plattform erlaubt auch das beine-baumelnde Sitzen im Freien. Ein aus einem Baumstamm gehöhlter Brunnen bietet die Möglichkeit, Pflanzen zu wässern und Gartenutensilien zu reinigen.

Bisher fehlte der Gärtnerequipe, die ständig unter den Augen der über den Vitra-Campus flanierenden Besucherinnen und Besucher arbeitet, ein Rückzugsraum für ihre Pausen. Die auf das Häuschen aufgesetzte Aussichtsplattform erlaubt einen Blick von oben auf den angrenzenden Garten.

Der vom bekannten niederländischen Gartenarchitekten Piet Oudolf konzipierte viertausend Quadratmeter grosse Garten, um den sich die Gärtnerequipe kümmert, braucht viel Pflege. Oudolf setzt auf grossteils mehrjährige Pflanzen, Stauden und Gräser, akribisch ausgearbeitete Pflanzpläne und ein eher unkonventionelles Bepflanzungsschema. Bekannt wurde er unter anderem durch die Begrünung der New Yorker High Line.

Seine Gärten sollen wild und ungezähmt wirken. Sie benötigen aber aufwendige Planung und regelmässige Pflege. Auch im Winter sollen sie durch unterschiedliche Wuchshöhen und abwechslungsreiche Strukturen der Pflanzen, die in unterschiedlichen Brauntönen trocknen und über die kalte Jahreszeit stehen bleiben dürfen, einen abwechslungsreichen Gartenbesuch bieten.

«Oberirdische» Materialien bevorzugt

Das Häuschen ist typisch für den Gestaltungsansatz von Tsuyoshi Tane, der sein Büro in Paris hat. Er unterteilt die Materialien, die er verwendet, in «above ground» (oberirdischen Ursprungs) und in «below ground», Materialien also, die aus der Erde geborgen werden müssen und somit «unterirdischen» Ursprungs sind. Die oberirdischen Materialien sind nachwachsend, etwa Holz, Stroh oder Schilf. Die unterirdischen Materialien gilt es für den japanischen Architekten zu vermeiden, denn sie sind endlich, übernutzt und daher nur sparsam und mit Bedacht einzusetzen.

Den Auftrag erhielt Tane bereits 2020. Er begann mit Recherchen zu regional vorhandenen Materialien und fertigte mit seinem Team an die hundert meist nur faustgrosse Modelle. Eine Art ausufernder Versuchs- und Irrtumsprozess. Solch ein Modell kann auch mal nur ein Steinhaufen sein, ein paar verwobene Schilfblätter, ein Stück Holz auf Stelzen, ein Knäuel Stahlwolle. Das Spektrum reicht bis zu ersten Prototypen des tatsächlich entstandenen Gartenhauses. Eine Auswahl dieser Modellflut ist bis Mitte April 2024 in der Vitra Design Museum Gallery zu sehen.

Für Tane ist der Entwurf eines neuen Gebäudes stets eine lange Entdeckungsreise. Er erkundet, welche Gebäude in der Umgebung des künftigen Bauwerks traditionell vorhanden sind und welche Handwerkstechniken verwendet wurden. Er nennt das eine Erforschung des «Gedächtnisses des Ortes».

Bewusstsein für den Klimawandel

Tsuyoshi Tane hat ausserdem für dieses spezielle Häuschen auch die Typologie des Gartenhauses an sich untersucht. Die Formen reichen vom barocken Pavillon bis zum banalen Geräteschuppen aus dem Baumarkt.

Was nach all diesen Recherchen entstanden ist, ist im Grunde eine experimentelle Studie für zeitgemässes und ökologisches Bauen. Es ist auch das erste Gebäude auf dem prestigeträchtigen Architekturcampus von Vitra, das im vollen Bewusstsein der Klimakrise entstanden ist. Vorher sammelte man dort vor allem ungewöhnliche Betonbauten von grossen Namen. Tane selbst sagt über den langwierigen Prozess: «Er ähnelt dem Erlernen eines lokalen Dialekts. Vom Auftrag bis zum fertigen Bau sind drei Jahre vergangen, in denen wir eine Form und die passenden Materialien gefunden und Details und lokale Techniken untersucht haben. Herausgekommen ist eine einfache, willkommen heissende Architektur.» Das Ganze beruht auf Tanes tiefer Überzeugung, dass ein Ort tiefe Erinnerung über seine Vergangenheit in sich birgt. Diese Erinnerung gilt es zu bergen, um das passende Gebäude an dem Ort errichten zu können. Seine Vorgehensweise bezeichnet er darum als «Archäologie der Zukunft».