Bauen

Wohnen in der Scheune

Das junge Zürcher Büro Schneider Türtscher baut eine alte Scheune in eine lichte Wohnhauserweiterung um.

Mit 38 650 Einwohnern ist das Fürstentum Liechtenstein der sechstkleinste Staat der Welt. Die Landesgrenze des Binnenstaates zwischen der Schweiz und Österreich misst gerade einmal 76 km. Liechtenstein ist klein, man kennt sich. Claudio Schneider ist hier aufgewachsen, seine Partnerin, Michaela Türtscher, im benachbarten Vorarlberg. Beide haben Architektur an der ETH Zürich studiert und gemeinsam 2013 ein Büro in Zürich eröffnet. Schneider Türtscher starteten mit einem Direktauftrag für zwei Wohnhäuser, bislang bauen sie vorwiegend im Rheintal.

Auch ihr jüngstes Projekt befindet sich in Liechtenstein. In Mauren, mit 4400 Einwohnern eine der grösseren Gemeinden des Landes, hat das junge Büro den Umbau einer Scheune in eine Wohnhauserweiterung realisiert. Die Zersiedelung schreitet auch hier voran. Moderne Einfamiliendomizile werden neben jahrhundertealten Bauernhäusern erbaut. Und mit dem Rückgang der Landwirtschaft bleiben in ländlichen Gegenden zahlreiche leer stehende Stallgebäude oder Scheunen zurück. «Für uns haben die hiesigen alten Bauernhäuser und Scheunen immer noch eine grosse Bedeutung für das gewachsene Ortsbild», sagt Claudio Schneider. «Wir setzen uns dafür ein, nicht alles vorschnell abzureissen, sondern auf ein Gleichgewicht aus neuen und alten Elementen zu setzen.» Die Umnutzung dieser alten Gebäude zu Wohnzwecken ermöglicht eine ungezwungene Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Innen-, Zwischen- und Aussenräumen.

Umbau statt Leerstand und Verfall

Der Direktauftrag «Auf Berg II» hat eine lange Geschichte. Schon 2015 erstellten Schneider Türtscher eine erste Machbarkeitsstudie für den Umbau auf einer hoch gelegenen Stelle Maurens. Die Scheune grenzt an ein altes Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert an, das von den Grosseltern der Bauherrin ab ca. 1950 bewohnt wurde. Im Laufe des Planungsprozesses musste jedoch das Budget um die Hälfte gekürzt werden. «Dies kam dem Projekt schlussendlich zugute, denn wir bezogen nun auch den nichtausgebauten Anteil der Scheune mit ein», sagt Claudio. «Und wir konnten sehr viel Material aus dem Abbruch wiederverwenden, wie die alten Fassadenbretter.»

Das Resultat ist die gekonnte Umnutzung der Scheune. Über das grosse Tor gelangt man in das mehr als 8 Meter hohe Tenn – dorthin, wo früher die Heuwagen einfuhren. Schneider Türtscher haben hier eine Art Windfang mit altem Steinboden geschaffen. Hier befindet sich auch der Zugang zum alten Schweinestall. Durch eine Glastür mit rohbelassenem Aluminiumrahmen betritt man den Wohnraum. Verborgen im Inneren der ehemaligen Scheune befindet sich der Wohnraum mit seinen etwa 75 Quadratmetern Fläche. Der Einbau aus unlackiertem, mit Lauge behandeltem Fichtenholz orientiert sich an der alten Struktur des Tragwerks, verselbstständigt sich aber und hält Abstand zur Scheune – wie ein Möbelstück ist er eingefügt. «Toleranzräume zwischen Neu und Alt, die auch dem Handwerk entgegenkommen, setzen wir bewusst ein.

Manchmal auf wenige Zentimeter reduziert, weiten sie sich an vielen Stellen zu nutzbaren Räumen aus», erklärt Schneider. «Auch die nicht ausgebaute Scheune wird so zu einem brauchbaren Zwischenraum.»

Alt und Neu verschränken

Eine wichtige Vorgabe der Bauherrin war der direkte Zugang zum Bauerngarten. Und so öffnet sich das schmale Entree zum Garten hin in einen lichten Wohn- und Küchenbereich. Da sich das Dach in der Mitte des Anbaus nach oben knickt, gewinnt der Raum hier an Höhe. Grosse Fensterfronten mit unbehandelten Alurahmen führen auf die Terrasse und in den Garten. Auch die grosszügigen Fenster der Küche holen die Natur ins Haus, der Blick geht auf die Wälder des Schellenbergs. Alt und Neu sind aufs Schönste verbunden. Im Wohnbereich ist das alte Mauerwerk sichtbar, die Küche aus schwarzem MDF setzt einen zeitgemässen Kontrapunkt. Der Boden ist aus geschliffenem Zementestrich. Schaut man genau hin, entdeckt man ein feines Schachbrettmuster: Quadratische Felder wurden mit pigmentiertem Steinöl behandelt und sind mal dunkler, mal heller. Ein subtiles Detail. Überhaupt fällt der Sinn fürs Detail auf: Einbauten wie ein Podest, unter dem sich der Technikraum befindet, zeigen, dass die Architekten offenbar viel Freude bei der Planung hatten. Zentrales Element im Wohnbereich ist eine freigelegte Holzstütze mit Streben zum Dachwerk: «Hier mussten wir das bestehende Tragwerk anheben und auf einen neuen Betonsockel lagern – und haben diesen Ort so zusätzlich in Szene gesetzt», sagt Schneider.

Eine Treppe führt ins Obergeschoss des bestehenden Wohnhauses mit zwei kleinteiligen Zimmern. Ein Ausguck beherbergt das kleine, gut durchdachte Bad, ein rundes Fenster erlaubt Ausblicke ins Erdgeschoss und ins Freie. Und ein wieder frei gelegtes Fenster weist in den Garten. Vom Garten aus betrachtet, zeigt sich, dass Bauen im Bestand auch bei kleinem Budget gelingen kann: Die Fassade aus alten Brettern, das Dach aus Wellblech und die rohen Aluminiumrahmen der Fenster und Türen erzeugen eine ganz eigene Ästhetik.