Gartenwissen

«Pflanzen haben keine Wurzeln, sie haben Mykorrhiza»

Das Zusammenleben von Pflanze und Pilz ist für beide Parteien ein wahrer Segen. Gartenexpertin Elsa Ferstl erklärt, wie Pflanzen von Mykorrhiza-Pilzen profitieren – und umgekehrt.

von Elsa Ferstl

Garten-Center Meier, Dürnten

Das Statement im Titel stammt vom namhaften Pflanzenpathologen Stephen William und sagt bereits viel über die Bedeutung der Mykorrhiza-Pilze aus. 90 Prozent unserer Landpflanzen haben sich für diese Pilz-Pflanzen-Beziehung entschieden. Sämtliche Nadel- und Laubbäume könnten ohne sie gar nicht leben. Mit ihren Pilzfäden (Hyphen) ummanteln sie die Pflanzenwurzeln oder dringen sogar in die Wurzeln ein und festigen so ihre Beziehung zu den Pflanzen. Die Mykorrhiza haben in ihrer Geschichte schon einiges überlebt – zum Beispiel die Dinosaurier – und waren massgebend an der Verbreitung der Landpflanzen beteiligt.

Ohne dich, das geht doch nicht

Dieses Zusammenleben, mutualistische Symbiose genannt, ist für beide Parteien, Pflanze und Pilz, ein wahrer Segen. Sie beruht auf einem Geben und Nehmen. Der Pilz stellt den Pflanzen Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor sowie Wasser zur Verfügung. Über die Pilzfäden gelangen sie im Boden in Regionen, in denen Wasser und Nährstoffe für die Pflanzenwurzeln unerreichbar wären. Zusätzlich vermag das Pilzgeflecht die Nährstoffe zu speichern und vor Auswaschungen zu schützen. Hinzu kommt, dass sich durch die Mykorrhizierung die Bodenqualität verbessert. Bestimmte Ausscheidungen des Pilzes stabilisieren zusammen mit dem Pilzgeflecht die Bodenstruktur und fördern zugleich die Krümelstruktur. Daraus resultiert ein stets gut durchlüfteter Boden mit einer immensen Wasserspeicherfähigkeit. Als Bonuspunkt in dieser Partnerschaft ist ein Allround-Schutz vor Schädlingen, bodenbürtigen Krankheitserregern, Schadstoffbelastungen, Trockenstress und Kälte inkludiert. Die Mykorrhizierung hat nachweislich eine beruhigende Wirkung auf Pflanzen bei Stress durch Wasser- und Nährstoffengpässe wie etwa bei ungünstigen Standortbedingungen.

Im Gegenzug erhält der Pilz Kohlenhydrate von der Pflanze, sprich Zucker aus ihrer Photosyntheseleistung. Wer kann da schon widerstehen? 

Oder doch?

Es gibt tatsächlich Pflanzenarten, die nicht auf die Symbiose mit Mykorrhiza- Pilzen angewiesen sind. Dies schliesst aber teilweise nicht aus, dass die Pflanzen Verbindungen mit anderen Pilzen und Bakterien eingehen. Dazu zählen Kreuzblütler wie Raps, Kabis, Kohlrabi, Lupinen, Rhabarber und der Senf. Auch Sauergräser und Gänsefussgewächse wie Spinat und Rüben bleiben lieber single.

Im Laufe der Evolution entwickelten sich verschiedene Mykorrhiza- Arten. Je nach Standort und Pflanze entstanden spezifische Mykorrhiza-Pilze. Moorbeetpflanzen und Erikagewächsen beispielsweise gehen nur mit einer bestimmten Pilz-Art eine Symbiose ein. Dies ist ein Grund, warum beim Kauf von Mykorrhiza- Präparaten darauf zu achten ist, für welche Kultur sie eingesetzt werden kann. Wichtig zu wissen: Greift man zum «falschen» Mykorrhiza-Produkt, erleidet die Pflanze keinen Schaden. Die Pflanze wird den vermeintlich fremden Pilz einfach ignorieren, die Sporen der Mykorrhiza-Pilze können nicht keimen und bleiben inaktiv.

Starker Partner für den Garten

Der Hobbygärtner bzw. sein Garten profitiert von dieser Pflanzen-Pilz-Beziehung, da die kultivierten Pflanzen durch einen gezielten Einsatz von Mykorrhiza-Pilzen optimal respektive artgerecht in ihrem Wachstum unterstützt werden. Es braucht weniger Düngemittel und auch der Spritzmitteleinsatz tritt deutlich in den Hintergrund. Gerade bei kränklich serbelnden Kulturen kann der Pflanze eine Mykorrhiza-Gabe helfen, sich zu erholen. Auch Topfpflanzen profitieren von einer solchen Stärkung und danken mit erneuerter Blühkraft. Vorsicht ist bei der Anwendung mineralischer Dünger geboten, da ein zu hoher Phosphatanteil die Pilze absterben lässt. Der Einsatz von Fungiziden bringt den Mykorrhiza-Pilz ebenfalls um. Zudem sollte die Bodenbearbeitung auf ein Minimum reduziert werden, damit das feine Wurzelgeflecht des Pilzes nicht zerstört wird und die Bodenmikroorganismen nicht gestört werden.

Gestärkte Pflanzen sind tatsächlich weniger anfällig auf Schädlingsbefall oder Pilzerkrankungen und stecken äussere Einflüsse besser weg. Es ist bei den Pflanzen wie bei uns Menschen: Eine gesunde Ernährung beugt Zivilisationskrankheiten vor. Nach dem Motto: An apple a day keeps the doctor away ...

Die Familie der Mykorrhiza

  • Ektomykorrhiza stehen mit sämtlichen Waldbäumen in Verbindung und jeder von uns hat diese schon mal auf dem Teller gehabt respektive gesehen. Zu dieser Gruppe zählen nämlich überwiegend die Ständerpilze: Steinpilz, Eierschwamm, Fliegenpilz etc.
  • Endomykorrhiza haben sich auf die Verpartnerung mit krautigen Pflanzen, Blumen, Obst und Gemüse spezialisiert und sind oft in Kulturböden wie Feldern, Steppen und Grasland anzutreffen.
  • Ericoide-Mykorrhiza mögen ausschliesslich Partner, die auf sauren und nährstoffarmen Böden wie Heiden und Mooren wachsen. Sie eignen sich für eine Beziehung mit Heidel- und Preiselbeeren, Rhododendren, Azaleen, Besenheide und sämtlichen anderen säure-liebenden Erikagewächsen.
  • Am Rande seien noch die Arten Monotropoide-Mykorrhiza und die mit Orchideen lebenden Mykorrhiza-Pilze genannt. Diese nehmen es mit dem Geben und Nehmen nicht so ernst, genauer gesagt, profitieren hier nur die Pflanzen von der Partnerschaft.

Die Züchtung der Mykorrhiza-Pilze ist ein ziemlich schwieriger und langwieriger Prozess. Zuallererst müssen die Wirtspflanzen gezüchtet werden, damit man darauf die Pilze kultivieren kann. Da diese ein lebender Organismus sind, ist auch die Haltbarkeit begrenzt.