Reisereportage

Namibia – Republik der Rekorde

Südwestafrika Namibia ist rund 20-mal grösser als die Schweiz, hat aber nur 2,5 Millionen Einwohner.

von Reto E. Wild

Journalist BR und Tourismusexperte

Namibia, von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg die Kolonie Deutsch-Südwestafrika und erst seit 1990 unabhängig und nicht mehr unter südafrikanischem Einfluss, ist ein Land der Rekorde: Hier lassen sich in der grossen Salzpfanne Sossusvlei, innerhalb der Namib-Wüste, südwestlich der Hauptstadt Windhoek die mit 380 Metern höchsten Dünen der Welt erklimmen. Hier befindet sich mit dem Fish River Canyon die tiefste Schlucht Afrikas. Und mit dem Etosha-Nationalpark, einer riesigen Salzpfanne, die sogar aus dem Weltall zu sehen ist, findet sich ein spektakuläres Reich der wilden Tiere mit Löwen, Leoparden, Geparden, Hyänen, Zebras, Giraffen, Gnus, Springböcken, Kudus, Elenantilopen (sie werden bis zu 3,5 Meter lang!), Schakalen, Warzenschweinen, Elefanten und leider nur noch gut 300 Breitmaul- und gegen 1400 Spitzmaulnashörnern. Vier der sogenannten «Big Five» sind im Etosha in freier Wildbahn zu bestaunen, nur der Büffel fehlt.

Kaum einer kennt das touristische Namibia so gut wie der jung gebliebene Bieler Urs P. Gamma (65). Inzwischen Honorarkonsul der Schweiz, wanderte er 1987 nach Windhoek aus und betrieb dort über 30 Jahre mit dem Gourmetrestaurant Gathemann sein eigenes Restaurant an der zentral gelegenen Einkaufsmeile Independence Avenue. «Es gibt hier das beste Wild- und Rindfleisch in allen Variationen!», so Gamma. Inzwischen bereitet er diese Spezialitäten wieder selbst zu, denn der Schweizer hat sich entschieden, das Craft Café zu übernehmen, umzubauen und durch seine Partnerin neu einrichten zu lassen. Das Geschäft im Bistro laufe von Tag zu Tag besser. Die Aussage ist wegweisend, denn durch Corona ist der Tourismus in Namibia fast zum Erliegen gekommen. Viele Lodges oder Restaurants haben sich nicht mehr erholt, manche versuchten mit Spezialpreisen, die Lokalbevölkerung zu einem Besuch zu bewegen. Die Pandemie hinterliess Spuren; viele verloren die Arbeit. «Aber», so Gamma, «es gibt Licht am Horizont. Die unberührten Landschaften mit den liebenswerten Menschen sind geblieben, ebenso der Sternenhimmel, wie es ihn in der Schweiz nirgendwo gibt.»

Die Weite entdecken

In seinen ersten Jahren im südlichen Afrika dominierten auf den Speisekarten in den Restaurants deutsche Spezialitäten wie Eisbein. Heute lassen Gastronomen von April bis Juni in der Wüste nach dem Kalahari-Trüffel suchen. Ausserhalb des Dorfs Otavi, gut eine Fahrstunde südlich des Etosha-Nationalparks, ist mit Boshoff Family Wines ein Weingut entstanden, das sich laut Gamma «von Jahr zu Jahr verbessert. Auch ein Sekt wird dort gekeltert!». Für namibische Verhältnisse nicht so weit von Otavi entfernt ist die Bergbaustadt Tsumeb, wo die Familie Bosch erst vor ein paar Jahren mit dem Weinbau angefangen hat. Im Naukluft-Gebiet im Südwesten sind weitere Weingüter entstanden, in der Ortschaft Omaruru – rund 200 Kilometer nordwestlich von Windhuk – eine Schnapsbrennerei, die Grappa produziert.

Gamma freut sich darüber, dass es in Namibia endlich wieder einmal regnete. «Das sorgt dafür, dass die Termitenpilze spriessen. Sie sind eine geniale Delikatesse der Natur. Auch die Wasserlilien im Süden standen in fantastischer Blütenpracht. Und der Sesriem Canyon in der Nähe von Sossusvlei wurde wieder mit Wassermassen gespült.» Heute besitzt Gamma den namibischen Pass, spricht fliessend Afrikaans und arbeitet zusätzlich für das Schweizerische Generalkonsulat in Windhoek. Wenn er von seiner neuen Heimat erzählt, zeigt sich immer wieder seine Begeisterung: «Windhoek befindet sich mit 1655 Meter über Meer fast auf gleicher Höhe wie die Rigi, hat aber praktisch das ganze Jahr tolles Wetter. Stau kennen wir einzig von 11.50 bis 12.05 Uhr.» Gamma schwärmt von der Weite im Land, das 20-mal grösser als die Schweiz ist. Allerdings braucht die Weite auch Zeit, und Schotterstrassen sind in Namibia eher die Regel als die Ausnahme. Deshalb eignen sich vierradgetriebene Fahrzeuge oder der Zug zum Entdecken des riesigen Landes.

Erhabene Stille und wenig Reisende

Den Besuchern rät der Bieler, die Ruhe und Stille der Wüste zu erleben. Die Landschaften und die Tierwelt gehören denn auch zu den Hauptattraktionen des Landes. Das zeigt sich schon auf der Nationalstrasse B1, der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung Namibias: Auf der Fahrt von Windhoek Richtung Etoscha-Nationalpark im Norden tummeln sich Paviane auf dem mit Gras bewachsenen Mittelstreifen. Links und rechts der Fahrbahn türmen sich Termitenhügel. Springböcke sind öfter zu sehen als andere Autos. Und abends stehen kleine, feine Lodges zum Übernachten bereit. Massentourismus kennt Namibia nicht.

In Swakopmund am Atlantik, 1882 von deutschen Kolonialisten gegründet, trägt der Wind den Duft von Salz und Robben zur Strandpromenade. Der einzige Kurort Namibias gilt als deutscheste Stadt ausserhalb von Europa und befindet sich über 500 Kilometer vom Etosha-Nationalpark entfernt. Geschäfte, Kirchen und Fachwerkhäuser dominieren das Stadtbild. Lüderitz, auf Granitfelsen im südlichen Namibia gebaut und direkt am tosenden Atlantik und den Ausläufern der Wüste Namib gelegen, ist übrigens die zweite Stadt neben Swakopmund, die Zeugin der deutschen Kolonialgeschichte ist.

Nach 22 Uhr ist es im Ferienort Swakopmund mit seinen 25 000 Einwohnern auffallend ruhig. Die Stille erinnert an den Fish River Canyon im Süden des Landes, der mit seiner Länge von 160 Kilometern weltweit die zweitgrösste Schlucht nach dem Grand Canyon ist und sich über 800 Kilometer nördlich von Kapstadt in Südafrika befindet. Nur gilt der Fish River Canyon als weitgehend unbekannt; entsprechend wenig Reisende sind in dieser besonders schönen Ecke des Landes zu sehen. Unglaublich still und erhaben präsentiert sich auch die Namib-Wüste mit den orangefarbenen Dünen von Sossusvlei. Deren Besteigung vor dem Sonnenaufgang gehört zu den spektakulärsten Naturerlebnissen einer Namibia-Reise – vielleicht zusammen mit dem Sternenhimmel, von dem Urs Gamma auch nach Jahrzehnten im Land noch immer begeistert ist.

African Explorer

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