Unterwegs

Im Königreich des Weins

Genfersee Chasselas, Pinot Noir, Gamay und Konsorten: Inmitten weltbekannter Reben durch das Weinbaugebiet Lavaux wandern, das zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.

von Üsé Meyer

Journalist

Links, rechts, vorne, hinten: Rebstock reiht sich an Rebstock, einzelne Blätter leuchten rot, orange und grün – die Trauben lesereif gelbgrün und violettblau. Herbst im Weinbaugebiet Lavaux. Oben der leicht bewölkte Himmel, und in der Ferne scheint das glitzernde Wasser des Genfersees uferlos zu sein – Frankreich oder der Gipfel der Rochers-de-Naye können nur erahnt werden. Vor weniger als einer Minute sind wir aus dem Zug in Lutry, einem Vorort von Lausanne, gestiegen und schon befinden wir uns mitten in der Welt des Weins. Die Region Lavaux erstreckt sich von Lutry bis Vevey und gehört seit 2007 zum Unesco-Weltkulturerbe. Den aussergewöhnlichen Weinterrassen und typischen Winzerdörfchen wurde damit Rechnung getragen. Wir passieren den Tour Bertholod, einen burgähnlichen Bau aus dem 13. Jahrhundert, und beobachten fünf Krähen im Tiefflug über den Reben – die wenigsten Reben sind mit Netzen vor den gierigen Schnäbeln geschützt. Vorbei geht es an Olivenbäumen und einigen Palmen, die für mediterranes Flair sorgen. Nach dem Örtchen Aran wandern wir ausnahmsweise nicht auf Teer, sondern auf einem Feldweg. Von hier aus bietet sich uns ein Ausblick über den grünen Rebenteppich, der sich über die Hänge legt. Eingangs der nächsten Ortschaft Grandvaux wurde extra ein Parkhaus in den Hang hinein gebaut. Denn in den engen Gässchen des Winzerdorfes gibt es keinen Platz für Autos. Das ist typisch für das Lavaux: Denn hier befindet sich das Königreich von Dionysos, dem Gott des Weines. Alles muss sich dem Diktat der Reben unterordnen.

Im Labyrinth der Reben

Kein Zentimeter des urbaren Landes wird verschwendet, nichts wird der wilden Natur überlassen. Die alten Wohnhäuser sind ineinander verschachtelt, die Bachläufe allesamt korrigiert und selbst im Strassenkreisel stehen einige Rebstöcke. Auch Hotels und Pensionen sind äusserst rar, sie finden in den Winzerdörfchen kaum Platz, kleine Restaurants mit feinem Essen hingegen schon.

Das Teersträsschen, gesäumt von Steinmauern, führt uns weiter in Richtung Riex. Wir lassen uns zu einer Abkürzung hinreissen und folgen über steile Treppen einem Wasserlauf. Bald geht es nicht mehr weiter, wir durchqueren den Hang über eine Mauer und stecken erneut fest. Erst nachdem wir einige Haken geschlagen haben, finden wir den Ausgang des Rebenlabyrinths und lernen: «Lieber den blauen Wegweisern folgen.» Wie in fast jedem Ort gibt es auch in Riex ein «Caveau des vignerons», wo jedes Wochenende ein anderer Winzer seine Weine zum Degustieren anbietet. Dieser Weinkeller befindet sich in einer kleinen Kirche. Und das passt bestens.

Die drei Sonnen

Denn waren es Mönche, die bereits im12. Jahrhundert in den steilen Hängen des Lavaux begannen, Terrassen mit Stützmauern anzulegen und Reben zu pflanzen. Über die Jahrhunderte entstanden so auf 40 Ebenen 10 000 Terrassen mit 400 Kilometer Mauern. Am eindrücklichsten präsentieren sie sich in den Steillagen von Dézaley. Hier lässt sich auch erahnen, wie anstrengend früher die Arbeit der Winzer gewesen sein muss. Heute hilft immerhin der Helikopter. Farbige Drei- oder Vierecke, die auf Pfählen in den Reben stehen, helfen dem Piloten bei der Rebbehandlung und zeigen die Sammelplätze bei der Weinlese an.

In Rivaz lädt uns ein Winzer zur Degustation diverser seiner St. Saphorin- und Dézaley-Weine ein. Eben ist er aus seinem Rebberg zurückgekehrt und verkündet stolz: «95 Öchsle.» Ein Zuckergehalt, der einen feinen Wein verspricht. Dazu hätten die drei Sonnen des Lavaux beigetragen, sagt er geheimnisvoll. Damit meint er: die direkte Sonneneinstrahlung, die Rückstrahlung vom See und die gespeicherte Sonnenwärme in den Mauern.

Unsere letzte kurze Etappe führt uns nach St. Saphorin, einem äusserst schmucken Winzerdörfchen direkt am See. Mitten im Königreich der Reben lassen wir den Tag ausklingen – mit Blick auf den Genfersee und die rotorange schimmernden Wolken am Abendhimmel. Nun erfüllt im Lavaux noch die dritte Sonne ihren Dienst: die abstrahlende Wärme der kilometerlangen Stützmauern.

Hier befindet sich das Königreich von Dionysos, dem Gott des Weines. Alles muss sich dem Diktat der Reben unterordnen.

Buchtipp

Das Buch «Schönste Schweiz! Unterwegs zu den Schweizer Unesco-Welterbestätten» enthält neben informativen Texten, hervorragenden Bildern und Insider-Tipps von Ortskundigen auch Informationen zur Anreise und zu Veranstaltungen. Es liefert Ideen für originelle Ausflüge in den entsprechenden Regionen.

 

 

Schönste Schweiz! Unterwegs zu den Schweizer Unesco-Welterbestätten, Üsé Meyer / Reto Westermann, 4. Auflage, 2020, 208 Seiten.

 

 

Leserangebot

Bestellen Sie das Buch für Fr. 27.– (statt Fr. 34.–). Weitere Infos

Umgeben von Reben

Anreise / Rückreise: Mit dem Zug via Lausanne nach Lutry, retour ab St. Saphorin.

 

Tour: Lutry – Aran – Grandvaux – Chenaux – Riex – Epesses – Rivaz – St. Saphorin (immer den blauen Rebberg-Wanderweg-Zeichen folgen)

 

Dauer: ca. 3 ¼ h

 

Anforderung: Durchschnittliche Kondition

 

Saison: Ganzjährig

 

Ausrüstung: Gute und bequeme Schuhe