Ausflüge

Hü Lady, ho Lady!

Jura Eine zweitägige Planwagenfahrt durch die Weiten der jurassischen Freiberge – gemütlich und entspannend. So zumindest hatten wir es uns vorgestellt.

von Üsé Meyer

Journalist

Sie steht einfach still, neigt ihren Kopf zur Seite, wirft uns, die hinten auf dem Kutschbock sitzen, aus den Augenwinkeln einen gelangweilten Blick zu und macht keine Anstalten weiterzugehen. «Hü, Lady, hü!» Wir schnalzen mit der Zunge, geben mit dem Zügel einen sachten Klaps auf den Pferderücken. «Hü, Lady, hü!» Aber der Wagen, der rollt ... nicht.

«Lady ist kein TGV», wurde uns schon auf dem Reiterhof in La Chaux-des-Breuleux gesagt, als man uns an diesem Morgen mit der bereits 20-jährigen Freiberger Stute bekannt machte. Lady soll unsere Familie samt Planwagen durch das rund 1000 m ü.M. liegende Hochplateau, die jurassischen Freiberge, ziehen. Konzentriert lauschten wir der Einführung in die Pferdepflege und ins Planwagenfahren. Uns war klar, dass dies wichtig ist. Denn schliesslich würden wir unterwegs allein und auf uns gestellt sein und erst wieder an unserem knapp drei Stunden entfernten Übernachtungsziel auf einem Bauernhof Hilfe erhalten. Die Einführung war anspruchsvoll. Besonders das Zäumen und Anspannen des Pferdes an den Wagen besteht aus zig Handgriffen und einem genau einzuhaltenden Ablauf. Nach einer Probefahrt galt es ernst. Wir Erwachsenen schauten uns in die Augen, ein gequältes Lächeln auf den Lippen. An sich eine unnötige Anspannung, wenn man die Charaktereigenschaften der aus dieser Region stammenden Freiberger-Rasse kennt: Einen sehr guten Menschenbezug sollen sie haben und zuverlässig, sensibel und ruhig sein.

Trockene Lippen und ein saftiger Braten

Lady nimmt es nun aber doch etwas zu ruhig. Immer noch steht sie eselsgleich still. Erst als wir einen Strick an ihrem Halfter einklinken und sie mit bestimmtem «Hü, Lady hü» und durch leichten Zug am Strick zum Gehen auffordern, erbarmt sich Lady und setzt ihren Weg im Schritttempo fort. Die Kinder geniessen die Langsamkeit, springen vom Wagen, sammeln Blumen, hüpfen wieder auf den Wagen, klettern von hinten auf den Führerbock und zurück. Währenddessen uns Erwachsenen vor Unwohlsein die Lippen austrocknen. Zum unsicheren Gefühl trägt ausserdem bei, dass Lady, als uns ein Zweispänner-Planwagen überholt, dann doch noch zum TGV wird und dem Wagen im Trab zu folgen versucht. Wer hätte vor zehn Minuten gedacht, dass wir bald verzweifelt «Hooo, Lady, hooo», rufen würden? Unsere Anspannung löst sich erst richtig, als wir beim Bauernhof ankommen und uns in erfahrenen Händen wissen.

Bevor wir uns auf dem Hof auf Erkundungstour begeben, heisst es «Lady first»: Ausspannen, abzäumen, striegeln, bürsten, Hufe auskratzen, waschen, Futter und Wasser geben. Der Bauernhof ist ein Eldorado – speziell für die Kinder: Die 17 Tage alten Kälber nuckeln an ihren Händen, die Katzenbabys streifen um ihre Beine, der äusserst zutrauliche Hund lässt sich am Bauch kraulen und der Heustock lädt zum Herumtollen ein. Bevor wir uns in den weichen Betten des grossen Gästezimmers des Bauernhofes schlafenlegen, geniessen wir noch ein Abendessen, das grösstenteils aus Produkten vom eigenen Hof besteht: Pastetchen, einen saftigen Schweinebraten mit Kartoffel-Gemüsegratin und zum Dessert selbst gemachte Bricelets (Brätzeli).

Wenn Lady eins nicht ausstehen kann ...

Am nächsten Morgen starten wir die Rückreise nach La Chaux-des-Breuleux. Am Anfang erneut mit ziemlich trockenen Lippen. Doch nach 30 Minuten weicht die Anspannung und auch wir Erwachsenen können nun die Weite der Gegend hier geniessen: Oft sind wir auf kleinen Strässchen unterwegs, gesäumt von Laubbäumen und bunten Wiesen – die nächsten Ortschaften sind in weiter Ferne. Dann geht es durch lichte Tannenwälder und bald sind wir bei unserem Picknick-Platz, wo Lady abgezäumt wird und Heu und Wasser bekommt, während wir unsere Würste über dem Feuer braten. Erst das erneute Zäumen von Lady wird wieder heikel. Denn wenn sie eines nicht ausstehen kann, dann ist es das Überziehen des Zaumzeuges über ihr linkes Ohr. Und tatsächlich bäumt sie sich dabei auf, schert mit ihren rund 600 Kilo nach rechts aus, der Karabiner am Zaumzeug bricht, Lady ist los. «Hoooo, Lady, hoooo, hoooo, hoooo!!» Wir wiederholen das Kommando, nicht zuletzt, um damit uns selbst zu beruhigen. Mit noch pochenden Herzen fahren wir los, finden aber schnell wieder zu einem gemütlichen Fahrstil, der uns sicher zum Ausgangspunkt zurückbringt. Das Wochenende hat zwar uns Erwachsenen die erwartete Gemütlichkeit und Entspannung zum Teil vorenthalten, dafür sind wir mit einer umso grösseren Zufriedenheit über das gemeisterte Abenteuer entschädigt worden.

Wir Erwachsenen schauten uns in die Augen, ein gequältes Lächeln auf den Lippen.

Jura mit Ross und Wagen

Anreise / Rückreise: Mit Bahn und Bus bis Courtedoux (Ajoie).

Routen und Fahrdauer: Variieren, je nach Länge des Aufenthaltes.

Vorkenntnisse: Keine nötig, pro Kind muss eine erwachsene Person mitreisen. Bei Touren ab 4 Tagen wird Erfahrung im Umgang mit Pferden vorausgesetzt.

Übernachtung unterwegs: Herbergen, einfache Hotels, Schlafsaal oder im Stroh auf dem Bauernhof.

Saison: Mitte März bis Mitte Oktober.

Anbieter: Weitere Informationen für eine vergleichbare Tour finden Sie unter: pferdewagenferien.ch