Wohnen

Glas vogelfreundlich gestalten

Der Tod an Scheiben ist eines der grössten Vogelschutzprobleme. Hunderttausende Vögel kommen allein in der Schweiz jedes Jahr um, weil sie mit Glas kollidieren. Schon mit einfachen Massnahmen kann die Gefahr stark vermindert werden.

von Livio Rey

MSc Biologie, Mitarbeiter Öffentlichkeitsarbeit, Schweizerische Vogelwarte, Sempach

Im grünen Quartier fühlt sich der Buchfink so richtig wohl. Munter trällert er sein Lied und versucht, eine Partnerin anzulocken. Er ist ein wahrer Prachtkerl, und der Baum, den er als Singwarte auserkoren hat, ist gut gewählt. Dennoch, der Baum ein paar Flügelschläge weiter wäre noch besser. Er fliegt los, um den Standort zu wechseln. Doch dort kommt unser Buchfink nie an. Er ist im vollen Flug in eine transparente Eckverglasung geknallt. Damit ist er einer der grössten Gefahren überhaupt zum Opfer gefallen: Glas. Unsichtbare Hindernisse wie Glasscheiben kommen in der Natur nicht vor, weshalb die Vögel diese Gefahrenquelle kaum erkennen. Weil in der modernen Architektur Glas ein so beliebter Baustoff ist, wird für Vögel das Risiko einer Kollision immer grösser. Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass jedem Gebäude im Durchschnitt mehrere Vögel zum Opfer fallen. Die tatsächliche Zahl ist ist schwierig zu ermitteln, da viele Vögel nach einem Aufprall weiterfliegen und erst später inneren Verletzungen erliegen oder rasch von Katzen, Krähen und anderen Beutegreifern gefressen werden.

Die zweifache Gefahr

Dass Vögel mit Glas kollidieren hat zwei Hauptursachen: Durchsichtigkeit und Spiegelung. Hinter einer transparenten Scheibe erkennt ein Vogel den Himmel, einen Baum oder sonst einen für ihn attraktiven Lebensraum. Er fliegt diesen an und nimmt nicht wahr, dass sich zwischen ihm und seinem Ziel ein Hindernis, nämlich die durchsichtige Scheibe, befindet. Auch Spiegelungen täuschen dem Vogel einen attraktiven Lebensraum vor und locken ihn damit in eine tödliche Falle.

Im Siedlungsgebiet gibt es unzählige Beispiele von durchsichtigen Scheiben, die für Vögel ein Risiko darstellen. Dazu gehören verglaste Hausecken, Wind- und Lärmschutzscheiben, Balkonbrüstungen, Verbindungsgänge und Wintergärten. Solche Elemente sollten, wenn immer möglich, nicht transparent sein. Stark spiegelnde Scheiben sind jedoch ebenso ein Problem. Sie werden gerne als architektonisches Gestaltungselement eingesetzt und schützen vor Sonneneinstrahlung. Je naturgetreuer sie spiegeln, desto gefährlicher sind sie für Vögel.

Vogelschutz dank einfacher und attraktiver Markierungen

Um Kollisionen effektiv zu verhindern, müssen Vögel Glas als Hindernis erkennen können. Anstelle transparenten Glases kann auch geripptes, geriffeltes, mattiertes, sandgestrahltes, geätztes, eingefärbtes, mit Laser bearbeitetes oder bedrucktes Glas eingesetzt werden. Damit wird die Kollisionsgefahr sehr stark reduziert. Um gefährliche Spiegelungen zu verringern, sollte der Aussenreflexionsgrad von Scheiben an Gebäuden maximal 15 Prozent betragen. Mit Markierungen oder hellen Vorhängen lässt sich die Kollisionsgefahr weiter vermindern. Greifvogelsilhouetten sollten in jedem Fall vermieden werden, denn sie sind weitgehend nutzlos. Gerade schwarze Aufkleber sind oft kaum sichtbar, und Vögel erkennen in der Silhouette keine Gefahr.

Klar abgegrenzte, stark kontrastierende Linien an transparenten Scheiben bewirken den effizientesten Kollisionsschutz, wobei vertikale Linien besser sind als horizontale. Horizontale Linien sollten mindestens 3 mm breit bei 5 cm Abstand sein. Vertikale Linien sollten mindestens 5 mm breit bei maximal 10 cm Abstand sein. Neben Linien können auch Punkte oder andere Motive eingesetzt werden. Bei Punktmarkierungen ist der sogenannte Bedeckungsgrad wichtig: Bei kleinen Punkten sollte dieser mindestens 25 Prozent betragen, bei Punkten ab 30 mm Durchmesser mindestens 15 Prozent.

Alle diese Markierungen können per Siebdruck werkseitig angebracht werden, wodurch sich aufwändige Nachrüstungen vermeiden lassen. Ein geringer Abstand zwischen den einzelnen Markierungen garantiert, dass Vögel nicht gegen unbedruckte Scheibenteile prallen. Als Grundsatz gilt die sogenannte Handflächenregel: Unmarkierte Stellen sollten max. 10 x 10 cm gross sein. Markierungen bringt man wo möglich auf der Glasaussenseite an, damit sie Spiegelungen brechen.

Es gibt ausserdem eine Vielzahl an innovativen, ästhetisch ansprechenden und vogelfreundlichen Massnahmen an Glas, darunter auch Firmenlogos oder Werbung. Halbtransparente Flächen und Glasbausteine liefern je nach Material eine sehr hohe Lichtdurchlässigkeit und ein interessantes Licht- und Schattenspiel, stellen aber keine Gefahr für Vögel dar. Raster, Lisenen, Brises Soleil und Jalousien als Sonnenschutzsysteme helfen gegen Überhitzung im Gebäudeinnern und sind gleichzeitig ein guter Kollisionsschutz. Auch farbige Gläser, Metallelemente, Drahtgeflechte, bombierte Flächen und Solarfassaden können vogelfreundlich eingesetzt werden und sind gleichzeitig architektonische Hingucker. Wir freuen uns, wenn weitere fantasievolle, ästhetisch gelungene Lösungen umgesetzt werden! Schon geringfügige Änderungen des Motivs können grosse Unterschiede in der Wirkung erzielen. Ein neuer, innovativer Glastyp steht vor der Markteinführung. Dieser hat den grossen Vorteil, dass man von innen eine praktisch ungehinderte Sicht nach draussen geniesst, aussen hingegen sind für Vögel wirksame Streifen aufgebracht.

Fachpersonen geben gerne Auskunft

Wollen Sie Ihr Haus um einen schönen Wintergarten erweitern, Fenster ersetzen oder sanieren, eine Lärmschutzwand oder einen Velo-Unterstand aus Glas bauen, und möchten Sie dies vogelfreundlich tun, dann wenden Sie sich an eine Fachperson. Sprechen Sie Ihren Architekten, Fenster- oder Fassadenbauer an. Informationen zum Thema «Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht» finden diese im Schweizerischen Standard für nachhaltiges Bauen, im SIA-Normenwerk (Bsp. Norm 329) oder beim Schweizerischen Institut für Glas am Bau (Bsp. Richtlinie 002 «Sicherheit mit Glas»). Selbstverständlich stehen Ihnen auch die Schweizerische Vogelwarte Sempach und BirdLife Schweiz für Auskünfte zur Verfügung und helfen gerne bei der Planung vogelfreundlicher Lösungen!

Vogelfreundlich bauen

Eine Übersicht über die Problematik von Glas für Vögel bietet die reich illustrierte Broschüre «Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht» der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Sie benennt Gefahrenstellen und zeigt eine Vielfalt an Lösungsvorschlägen auf.
Ästhetisch interessante Beispiele zeigen, dass vogelfreundliche Markierungen an Bauten neue Akzente setzen können. Die Broschüre gibt ausserdem einen Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse. Sie richtet sich insbesondere an Fachleute aus der Bau- und Planungsbranche.
Informationen, zahlreiche Fotobeispiele und die Broschüre finden Sie unter:
www.vogelglas.vogelwarte.ch